Ballon: Kritik - K50 Website 2019

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Ballon: Kritik

Filmbeschreibungen


         
Eine wahre Geschichte: 1979 flohen die Familien Strelzyk und Wetzel mit einem selbstgenähten Heißluftballon von Thüringen nach Oberfranken, von Ost- nach Westdeutschland. Ein Husarenstück, wenn man so will, und darum auch heute noch als „Die spektakulärste DDR-Flucht“ geadelt und mythisch überhöht. Natürlich ist dies auch ein Stoff fürs Kino, das erkannte Hollywood sofort: 1982 kam der Disney-Film „Night Crossing“ ins Kino, in Deutschland unter dem schönen Titel „Mit dem Wind nach Westen“ (fd 23 324). Nun also, fast vierzig Jahre nach den Ereignissen, endlich eine deutsche Verfilmung, ausgerechnet von Michael „Bully“ Herbig, sonst eher bekannt für Lustiges.
Herbig geht sofort in medias res. Es gibt keine Vorgeschichte, keine Hintergründe, keine Motivation – das Verständnis für die Not, die DDR verlassen zu müssen, wird vorausgesetzt und nicht diskutiert. Allenfalls bei der Jugendweihe heißt es von einem Funktionär, quasi als Bekenntnis zu übertriebener Fürsorge: „Wir beobachten Euch!“ Kurz nach der Jugendweihe fährt Familie Strelzyk – Vater, Mutter und die Söhne – mit dem Lada plus Anhänger, in dem sich der Ballon mit Gondel befindet, zu einem grenznahen Waldstück. Gasbrenner anwerfen, Ballon füllen, einsteigen, losfliegen. Doch der erste Flug dauert nur wenige Minuten, das Gas reicht nicht aus, der Ballon ist zu klein, die Passagiere sind zu schwer. Rasch fahren die Strelzyks nach Hause, damit die versuchte Republik-Flucht nicht auffliegt.

Von nun an funktioniert „Ballon“ vor allem als Thriller, der seine Spannung aus zwei parallel entwickelten Handlungssträngen bezieht. Da ist zum einen die Stasi unter Führung von Oberstleutnant Seidel (Thomas Kretschmann), die den zurückgelassenen Ballon entdeckt hat, das Vorhaben erahnt und nun auf Spurensuche geht: Woher kommt der viele Stoff? Wo kann man den Kleber kaufen, der die Gondel zusammenhält? Zum anderen zeigt Herbig den zweiten Versuch mit all seinen Vorbereitungen: Die Strelzyks tun sich mit der Familie von Günter Wetzel zusammen, der ein ausgezeichneter Näher ist. Jetzt muss der Stoff gekauft werden, aber nicht zu viel auf einmal, am besten in mehreren Städten, verteilt über die DDR. Wie kann man die Funktion der Gaszylinder verbessern? Für jedes Problem findet Vater Peter Strelzyk eine Lösung, Günter Wetzel näht Abend für Abend. Doch sie hinterlassen Spuren. Und Seidel ist nicht dumm.
Vorbereitung und Verfolgung gehen nun Hand in Hand. Herbig weiß um alle Versatzstücke der Spannungserzeugung, die man aus Hollywood-Thrillern kennt. Hier ein Hinweis, dort ein kleiner Fehler, hier ein Fahndungserfolg, dort ein misstrauischer Nachbar. Manchmal treibt er die Spannung auch zu weit, etwa, wenn die Stasi an ganz anderer Tür klingelt, als man annehmen konnte, oder der Ballon kurz vor der Landung auch noch Feuer fängt. Das ist nicht einmal zu viel verraten, weil es auch auf dem Filmplakat zu sehen ist. Einiges gerät dem Regisseur auch zu überdeutlich. „Gehen Sie ins Gefängnis!“ heißt es beim Monopoly, die Zweifel der Fluchtwilligen unterstreichend. Beim Spiel mit Plastikcowboys ruft ein Bub: „Halt! Bleiben Sie stehen!“, und erhöht so das Angst-Potenzial.

Als Abenteuerfilm, der vom Über-sich-Hinauswachsen seiner Helden erzählt, funktioniert „Ballon“ aber erstaunlich gut. Man weiß um den Ausgang der Geschichte und geht trotzdem mit. Natürlich ist dies auch ein Familiendrama, weil man als Zuschauer die Verantwortung der Eltern ahnt und nicht möchte, dass den Kindern etwas passiert. Doch die Qualität der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern bleibt vage. „Ich kann mir einen neuen Sohn machen, aber du kannst deinen Vater nicht eintauschen“, sagt Peter Strelzyk einmal, wenn auch im Scherz. Es gibt dann noch eine unmögliche Liebesgeschichte, die zumindest eine emotionale Anbindung des Zuschauers versucht. Doch die Figuren sind hier nur Chiffren, reduziert auf ihre Funktion bei einer aufregenden Flucht. Für die DDR findet Herbig nur wenige Bilder, auch der Alltag in Schule und Beruf bleibt ausgespart. Immerhin: Die Kindergärtnerin, die Wetzels kleinen Sohn betreut und darum von dessen abendlichen Nähstunden weiß, sagt nichts. Nicht alle waren Verräter, soll diese kurze Szene uns sagen. Und so liegt über diesem Film auch etwas Versöhnliches.
        
Michael Ranze, filmdienst
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