Body and Soul: Kritik
Filmbeschreibungen
Sie sehen sich an und wissen, dass sie füreinander bestimmt sind. Der
stattliche Hirsch und seine zarte Artgenossin treffen in einem
winterlichen Wald aufeinander, der ganz allein ihnen zu gehören scheint.
Unbehelligt von Menschen und anderen Tieren streifen sie zwischen den
Bäumen umher, suchen unter der Schneedecke nach essbaren Pflanzen oder
trinken nebeneinander aus einem Bach. Die Kamera hebt immer wieder die
Augen der beiden Paarhufer hervor, die gegenseitiges Vertrauen und
Verantwortungsgefühl auszudrücken scheinen – Bilder einer wahren Liebe
und eines weltentrückten Friedenszustands, mit denen die ungarische
Regisseurin Ildikó Enyedi ihren Film „Körper und Seele“ beginnt und zu
denen sie wiederholt zurückkehrt; zudem auch rätselhafte Bilder, die
realistisch und zugleich unwirklich erscheinen.
Dieses sensible Spiel mit Kontrasten prägt auch die Sphäre, in der sich
die Handlung entfaltet. Der harmonischen Zweisamkeit der Hirsche stellt
Enyedi die Tiere in einem Schlachthof gegenüber: Rinder, die in
Verschlägen einen letzten Sonnenstrahl genießen, bevor sie einzeln in
die Halle treten, wo sie durch ein Bolzenschussgerät den Tod finden und
danach zerteilt werden. Alltag für die abgebrühten Schlachter, den der
Film mit durchaus drastischer Detailgenauigkeit präsentiert, um zu
zeigen, wie sich auch vor diesem Hintergrund Empathie entwickeln kann.
Bei dem Finanzdirektor des Schlachthofs etwa, dem schon etwas älteren
Endre, der die Schlachthalle meidet und sich meist in seinem Büro
verkriecht. Trotzdem hat er sich ein Interesse an seinen Mitmenschen
bewahrt; er ist der einzige im Betrieb, der die neue Qualitätsprüferin
Mária nicht sofort unter „eingebildet und seltsam“ abheftet. Die junge
Frau zeigt deutliche Anzeichen von Autismus und kann mit sozialen
Beziehungen nichts anfangen, woran auch Endre bei ersten
Annäherungsversuchen nicht rütteln kann; zudem erscheint ihm Márias
Beharren auf den Vorschriften selbst für seine Begriffe recht
übertrieben.
Von ihrem Naturell her scheint es undenkbar, dass ausgerechnet zwischen
diesen Menschen eine Beziehung entstehen könnte. Doch Enyedi deutet von
Anfang an das besondere Verhältnis der beiden an. Die Aufmerksamkeit des
introvertierten Endre spiegelt sich in der Lebendigkeit von Márias
Augen, mit denen die Frau mit der engelhaften Blässe ihre scheinbare
Unterkühltheit Lügen straft. Es liegt nahe, sich angesichts dieses
sensiblen Mienenspiels an die Hirsche erinnert zu fühlen, und wird durch
den Fortgang auch bestätigt. Bei einer psychologischen Untersuchung der
Belegschaft steht die Frage nach Träumen im Raum, die Endre und Mária
identisch beantworten: Beide beschreiben, wie sie sich als Hirsch mit
ihrem Partner durch den Wald bewegten, und auch ihre Empfindungen sind –
abgesehen von der Identifikation mit ihrem jeweiligen
Geschlechtsgenossen – offenbar dieselben gewesen. Damit konfrontiert,
trifft die beiden Einzelgänger ihre Seelenverwandtschaft gänzlich
unverhofft. Doch sie können diese offensichtliche Fügung nicht einfach
abtun. So unwahrscheinlich ihre Vereinigung auch sein mag, geht das
Traumpaar nun auch im wirklichen Leben immer mehr aufeinander zu.
Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi breitet diese Liebesgeschichte
mit bezaubernden Details aus. Während es für Endre vor allem darum geht,
vergessene Gefühlsregungen wieder wachzurufen, macht sich Mária
akribisch daran, der selbstauferlegten Verpflichtung zur Liebe gerecht
zu werden. Das führt zu einigen herrlich komischen Momenten: So hört
sich Mária bergeweise durch CDs mit „Liebesmusik“, studiert aufmerksam
Pornos und bringt ihren Therapeuten aus Kindertagen, den sie noch immer
aufsucht, mit ihren neuen Fragen in Verlegenheit.
Vor allem aber beobachtet der Film subtil eine langsam wachsende
Leidenschaft. Dafür braucht es keine heftigen Gefühlsausbrüche. Dass die
Fortschritte sich in erster Linie in Gesicht- und Körpersprache der
Hauptdarsteller Géza Morcsányi und Alexandra Borbély abzeichnen, lässt
an Vorbilder wie David Leans „Begegnung“ (fd 89) und Wong Kar-wais „In
the Mood for Love“ (fd 34 577)
denken, auch wenn Enyedi deren melancholischen Tonfall nicht teilt. Die
1955 geborene Filmemacherin, die zum ersten Mal seit „Simon Magus“
(1999) wieder einen Spielfilm inszenierte, lässt neben einem sanft
skurrilen, teilweise aber auch mal herben Humor wie schon in früheren
Werken auch wundersame Aspekte in den Plot einfließen. In ihrem
Regiedebüt „Mein 20. Jahrhundert“ (fd 28 081)
waren es die Sterne, die sich ins Geschehen einmischten, und auch
diesmal haben surreale neben den realistischen Einschlägen einen festen
Platz; eine unsichtbare Schicksalsmacht scheint über das Wohl der
Figuren zu wachen. So ist „Körper und Seele“, mit dem Ildikó Enyedi im
Februar 2017 den „Goldenen Bären“ bei der „Berlinale“ gewann, ein Werk,
in dem Form und Inhalt mit seltener Meisterschaft zusammentreffen.
Dieser Film über eine zarte Liebe verrät in jeder fein komponierten, in
warmen Farben leuchtenden Einstellung die Liebe zum Erzählen und zum
Kino – der Welt, in der es tatsächlich möglich ist, sich gemeinsam in
Träume zu versenken.
Marius Nobach, filmdienst