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Filmbeschreibungen


Zeitgenössische Fotografien waren eine der Quellen, die Thomas Arslan zu  seiner ungewöhnlichen „Reisefabel“ inspirierten. Gegen Ende des 19.  Jahrhunderts, so erzählt er, habe sich die Amateurfotografie in  Windeseile entwickelt, als man die handlich gewordenen Kodak-Kameras  auch ohne Stativ bedienen konnte. So hat man noch heute einen  authentischen Eindruck jener von Hoffnung, Mut und womöglich von großer  Verzweiflung getriebenen Goldsucher auf ihrem Weg zum Klondike-Fluss:  Männer, die sich vor einen vollbepackten, klapprigen Handkarren  spannten, Frauen in „züchtiger“ und dementsprechend höchst unbequemer  Reisekleidung, Kinder mit zusammengerollten Matratzen auf dem Rücken.  Sie alle folgten um das Jahr 1898 dem „Lockruf des Goldes“, unter ihnen  viele Deutsche, die zuvor als Auswanderer in die USA gekommen waren und  die nun ein weiteres Mal aufbrechen, um sich ihre uneingelösten  Hoffnungen auf einen Neuanfang doch noch zu erfüllen. Dabei folgen sie  höchst trügerischen Versprechungen: Raffgierige Propagandisten, schlecht  vorbereitete Reisebegleiter mit miserablen Landkarten,  misstrauisch-distanzierte Dorfbewohner und selbst schweigsame Indianer  stürzen sich auf die Reisenden, beuten sie schamlos als willfährige  Opfer aus. Immer wieder zeigt Arslan diese Mechanik als perverse  Kehrseite des Kapitalismus, als emotionsfreien Deal ohne Mitleid oder  Empathie: Hast Du Geld, dann helfe ich Dir, ansonsten kannst Du sehen,  wo Du bleibst. Nicht nur beugt er damit jeglicher Legendenbildung vor,  verweigert konsequent jede romantische Ästhetisierung. Der Mythos des  Westerns hat sich längst abgenutzt, jeder Anflug von glanzvoller  Abenteuerlichkeit erscheint angesichts der strapaziösen Odyssee  deplatziert. Das Licht über Arslans kleinem Reisetrupp ist nur das  natürlich vorhandene, die Größe der Landschaft hat kaum etwas  Großartiges, eher im Gegenteil: Angesichts der wachsenden  Orientierungslosigkeit durch karge Felsenszenerien, labyrinthische  Flussebenen und undurchdringliche Wälder stellt sich Klaustrophobie ein –  ein intensiv spürbarer Zustand von Angst und Beklemmung in einem für  die Reisenden nicht zu fassenden und zu begreifenden Raum. Vielleicht  wäre das ja alles sogar zu ertragen, würden die Reisenden nicht  zusätzlich noch an sich selbst so schwer zu tragen haben; an ihren  jeweils eigenen individuellen Geschichten, ihren Taten und Ängsten,  Vorurteilen und Ansprüchen – an allem, was ihnen die Zivilisation an  (falschen wie richtigen) Vorstellungen von Moral, Recht und Unrecht  aufgebürdet hat. Insgesamt sind es sieben Goldsucher, die an einem  Sommertag im Jahr  1898 von der nördlichsten Bahnstation in Kanada  aufbrechen, voller naiver Zuversicht auf ein besseres Leben. Nur  allmählich kommt es unter den sich Fremden zur Annährung. Zunächst nur  mit Blicken, dann in ersten Gesprächen taxiert man sich, nimmt  Einschätzungen vor, verteilt Sympathien und Antipathien. Als besonderer  Fremdkörper sticht von Beginn an Emily Meyer (Nina Hoss) aus der Gruppe  heraus: eine allein reisende, zudem sichtlich selbstbewusste Frau, an  der sich die Haltungen der anderen auf grundverschiedene Weise  ausrichten. Am Ende ist es Emily, die noch am weites-ten kommt –  vielleicht weil sie am wenigsten zurückblickt: „Ich habe nichts, wofür  es sich lohnt umzukehren“, sagt sie einmal. Alle anderen scheitern an  ihren  Dämonen: Der Betrüger wird fast gelyncht, der alkoholabhängige,  zur Herrschsucht neigende Reporter tappt in die einzige Bärenfalle weit  und breit, um elendig zu sterben; der „zärtelnde“ Familienvater verfällt  dem Wahnsinn und verschwindet nackt im Nichts; den Abenteurer, dem noch  am ehesten das Flair des einsamen Westerner umgibt, holt eine  zurückliegende Gewalttat ein.
Es sind gänzlich unromantische Episoden  einer aussichtslos-widersinnigen Reise, die Arslan zu einer anfänglich  spröden, dann immer spannenderen Tragödie verdichtet. Wie die Personen  untereinander, so nähert auch er sich ihnen langsam und behutsam,  arbeitet geschickt mit Auslassungen. Dies rückt die Monotonie der  beschwerlichen Reise in den Vordergrund, während vieles indirekt  erschlossen werden muss – vor allem aus den immer sonnenverbrannteren  Gesichtern, die von Erschöpfung und wachsender Mutlosigkeit erzählen.  Ganz selten blitzt etwas von den Ressourcen menschlicher Vitalität auf,  etwa wenn Nina Hoss einen koketten Tanzschritt ausübt; und mitunter  schiebt sich ein wohltuend grimmiger Humor in die Erzählung, etwa wenn  Lars Rudolph angesichts der Absurdität der Ereignisse wunderbar  lamentierend mit dem Schicksal hadert.

Horst Peter Koll, FILMDIENST 2013/17    

 
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