Julieta: Kritik - K50 neue Website

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Filmbeschreibungen


 
Julieta (Emma Suarez) ist eine attraktive blonde Frau um die 50. Man  sieht ihr an, dass sie Schlimmes durchlebt hat. Seitdem sie zufällig die  Kindheitsfreundin ihrer Tochter getroffen und von ihr erfahren hat,  dass Antía noch lebt, hat sie alle Zukunftsprojekte über den Haufen  geworfen. Stattdessen schreibt sie einen langen Brief, eine  Lebensbeichte an ihre einzige Tochter, die sie seit zwölf Jahren nicht  mehr gesehen hat.

Darin erzählt sie ihr von den frühen  1980er-Jahren, wie sie in den bonbonfarbenen Zeiten des Aufbruchs und  der Lebensfreude nach Francos Tod Antías Vater kennenlernte. Im Nachtzug  nach Madrid werden der galizische Fischer Xoan (Daniel Grao) und die  Lehrerin für klassische Philologie (Adriana Ugarte) ein Paar, obwohl  Xoans Frau, die seit Jahren im Wachkoma liegt, noch lebt. Die Fahrt ist  allerdings vom mysteriösen Selbstmord eines Reisenden überschattet, an  dessen Tod sich Julieta schuldig fühlt. Dann aber beginnen glückliche  Zeiten. Julieta bekommt ein Baby, und nach dem Tod von Joans Frau leben  die drei an der Küste zusammen. Das kleine Mädchen Antía liebt seinen  Vater heiß und innig, begleitet ihn auf dem Boot beim Fischen. Die  Bildhauerin Ava (Inma Cuesta) wird Julietas beste Freundin, obwohl sie  spürt, dass die Künstlerin früher die Geliebte ihres Mannes war. Als  Antía zum ersten Mal ins Ferienlager fährt, gerät Julieta in einen  heftigen Streit mit Joan. Wütend besteigt der Fischer sein Boot und  fährt trotz des aufziehenden Unwetters aufs Meer hinaus, wo er den Tod  findet. Julieta ist verzweifelt und innerlich zerbrochen; sie zieht mit  Antía nach Madrid. Doch sie kann ihre Trauer nicht überwinden – und  verliert auch noch die Tochter, kurz nach deren 18. Geburtstag.

„Julieta“  ist Pedro Almodóvars 20. abendfüllender Film. Es ist ein Film über  Frauen, aber der Ton ist ein anderer. Der Meister aus „La Mancha“  definiert seine Mutter-Tochter-Tragödie selbst als „trockenes Drama“.  „Julieta“ ist kein Melodram und auch keine Genremischung, die sonst  Almodovars ganz eigene Melange ausmacht. „Julieta“ erzählt vielmehr die  Geschichte eines Lebens, einer Frau, die von zwei Schauspielerinnen  verkörpert wird, von Emma Suarez, die als ältere Frau noch einmal den  Kampf um die Liebe ihrer Tochter aufnimmt, und von Adriana Ugarte, die  als junge Frau an den Tragödien ihres Lebens versteinert.

Zwei  Schauspielerinnen, eine Rolle, die wie ineinander gesteckte russische  Babuschkas von den Wechselfällen eines Lebens erzählen. Denn das  zentrale Thema des Films ist das Altern, der unaufhaltsame Fluss des  Lebens und die Erinnerung an frühere Abschnitte auf dieser Reise. Mit  dem unaufhaltsamen Verrinnen der Lebenszeit und den Erinnerungen an  frühere Möglichkeiten der eigenen Biografie hat sich Almodóvar in vielen  seiner jüngeren Filme auseinandergesetzt. Doch diesmal hat diese Reise  nichts mit seiner eigenen Vergangenheit zu tun. „Julieta“ erzählt von  normalen Menschen mit der grausamen Dynamik einer griechischen Tragödie.  Die unbewältigte Trauer über den Tod des geliebten Mannes, an dem sich  die Protagonistin mit schuldig fühlt, führt in der Konsequenz zum  Verlust der eigenen Tochter. Der Film erzählt in einem trockenen, aber  eindringlichen Ton. Das Leiden ist nicht mehr frisch, spontan und  tränenreich, sondern zum festen Bestandteil von Körper und Seele  geworden.

Dabei spiegelt „Julieta“ nicht nur das individuelle  Altern der Protagonistin, sondern auch das sich wandelnde Lebensgefühl  der spanischen Gesellschaft, weg von der euphorisierten Energie der  1980er-Jahre, hin zur realistischeren Katerstimmung der 1990er-Jahre.  Doch dieses Mal entfaltet Almodóvar keine Geschichte der „Movida“, er  färbt die Geschichte nicht mit den schrillen, exotischen Farben der  Subkultur. „Julieta“ ist ein eindringliches Familiendrama, das in die  unterschiedlichen Viertel Madrids führt, nach Andalusien, an die  galizische Küste, in die Pyrenäen bei Huesca und am Ende die Alpen.  „Julieta“ steht damit in einer Linie mit Almodovars großen Mutterdramen  wie „High Heels“ (fd 29 439) oder „Alles über meine Mutter“ (fd 33 929).  Allerdings spart der Film die Begegnung von Mutter und Tochter aus,  belässt sie im Dunkel. Erst mit dem offenen Ende, wenn der Titel  „Julieta“ wieder die Leinwand füllt, wird klar, dass die Begegnung von  Mutter und Tochter Stoff für einen zweiten Film abgeben könnte.

Wolfgang Hamdorf, FILMDIENST 2016/16    

 
Copyright 2015. All rights reserved.
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü