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Filmbeschreibungen


 
Die eine sagt nichts, die andere lügt so wortreich wie möglich. In  diesem Gegensatz liegt die einzige Gemeinsamkeit der beiden Frauen  Donatella und Maria: Jede schiebt weg, was ihr an Emotionen nicht  erträglich erscheint. In allem anderen könnten die beiden nicht  unterschiedlicher sein. Donatella kennt das Sozialamt, Maria die  oberitalienische Prominenz; Donatella will sterben, Maria will Liebe,  Parties, Rache für das Unverständnis, von dem sie sich umgeben fühlt.  Jedes Mal, wenn die zwei zusammentreffen, muss man eine Art  Knallgasreaktion befürchten. Trotzdem freunden sie sich an und tragen  diesen Film mitten hinein in ihre Gefühle, denn gegenseitig halten sie  sich die Wahrheiten vor, die jede für sich allein ignoriert.

Donatella  und Maria, umwerfend gespielt von Micaela Ramazzotti und Valeria Bruni  Tedeschi, sitzen in der Psychiatrie. Wobei das in diesem Fall ein  Landgut in der Toskana ist, großzügig, mit viel Bewegungsfreiheit,  zumindest innerhalb der Gartenmauern. Dort begegnen sich die beiden, von  dort bricht die eine aus und schleppt die andere mit, was für lange  Zeit die durchgängige Konstellation bleibt: Maria redselig vorneweg,  Donatella missmutig einen Schritt hinterher.  Sie funktionieren  erstaunlich perfekt in der Welt jenseits der Anstalt, denn als  Kombination verfügen sie über genug hochstaplerisches Geschick, um sich  Transportmittel, Valium und schicke Abendessen zu erschleichen. Ihre  Flucht entwickelt sich zu einem kleinen Road Movie rund um Viareggio,  wobei sie immer wieder auf Menschen aus ihrer Vergangenheit treffen. Das  legt allmählich jene Geschichten frei, die beide irgendwann nicht mehr  aushalten konnten, etwa die Liebe zu einem Gangster, ein verlorenes  Kind, miese Eltern, immer Depressionen.

Regisseur Paolo Virzi  inszeniert einerseits einen Film über Verrücktheit, über Menschen, die  aus ihrem normalen Leben heraus und in Betreuung müssen. Wie in jedem  guten Film dieser Art weist Virzi darauf hin, dass die Grenze zwischen  dem, was als normal gilt, und dem, was verrückt sein soll, schwer zu  bestimmen ist. Der Großteil der Protagonisten, die hier als Vertreter  der Realität agieren, benehmen sich womöglich irrer als Donatella und  Maria. Es ist eher das Unglück, was die beiden Frauen vom Rest der Welt  trennt, denn sie können sich nicht dickfellig einrichten mit ihren  Leben, sondern sie verzweifeln darüber.  Das ist der Punkt, an dem Virzi  vom konventionellen Ablauf ähnlicher Filme abweicht. Er zeigt die  Psychiatrie als hellen und als düsteren Ort, aber er verteidigt ihren  Nutzen. Er und mit ihm am Ende auch Donatella und Maria halten fest,  dass es Hilfe gegen ihre Traurigkeit gibt, und dass es nicht verkehrt  sein kann, diese anzunehmen.

Andererseits schwebt Virzi ein  Buddy-Movie über zwei Frauen vor, die von einer anfangs bloß  zweckmäßigen Verbindung in eine große Freundschaft hineinstolpern. Man  kann während ihrer Reise zusehen, wie die Energie sich abwechselnd von  der einen auf die andere überträgt, und dabei sieht man auch, wie ihr  Zustand emotionaler Verwirrung allmählich der Klarheit weicht. Je mehr  die Frauen sich gegenseitig zwingen, ihr bisheriges Verhalten zu  betrachten, umso mehr finden sie tatsächlich zu der Erkenntnis, was sie  künftig tun oder lassen sollten. Das ist zwischendurch recht  anstrengend, weil die Frauen aggressiv, störrisch und keiner  Peinlichkeit abgeneigt sind – doch genau diese Abwesenheit von Vernunft  bewirkt auch, dass man oft mit ihnen lacht und manchmal auch mit ihnen  weint.

Doris Kuhn, FILMDIENST 2016/26    

 
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