Moonlight: Kritik
Filmbeschreibungen
Nicht untergehen. Niemals. Nicht im Meer, nicht im Leben. Deshalb bringt
Juan diesem Kind das Schwimmen bei. Die Wellen schwappen, das Licht
flimmert, bald bedeckt sich der Himmel. Eine Art Taufe. Es ist wie in
einem Traum. Die Streichermusik dazu trägt alles in sich. Die Angst, die
Hingabe, die Gefahr, die Zärtlichkeit. Immer wieder wird diese Musik
den Jungen Chiron begleiten, dessen Entwicklung Regisseur Barry Jenkins
in seinem filmischen Triptychon „Moonlight“ nachzeichnet. Es ist eine
Leidensgeschichte und eine Liebesgeschichte, und sie geht unter die
Haut.
Chiron, als Kind „Little“ gerufen, wird in der Schule gejagt, gemobbt,
geprügelt. Aber warum? Ist es, weil er zart wirkt, diesen fragenden
Blick hat, den er als Teenager wie auch als junger Mann behalten wird?
Ist es die Tatsache, dass er schwarz und arm ist und zuhause eine Mutter
sitzt, die von ihrer Crack-Sucht zerfressen wird? Das alles ist nicht
ungewöhnlich in Liberty City, einer Sozialbausiedlung im Miami, in der
fast nur Afroamerikaner leben, und die als eine der gefährlichsten
Gegenden der USA gilt.
Hier sind auch Regisseur Barry Jenkins und Drehbuchautor Tarell Alvin
McCraney aufgewachsen, auf dessen autobiografischen Bühnenstück „In
Moonlight Black Boys Look Blue“ der Film basiert. Chiron steht im
Abseits, weil seine Mitschüler etwas wittern, für das der Junge noch
keine Worte hat. „Faggot!“ – „Schwuchtel!“, wird er beschimpft. Schwarz
sein, arm sein, alles okay in Liberty City. Aber homosexuell? Es ist
hart, in einem Umfeld aufzuwachsen, in dem (heterosexuelle) Männlichkeit
aggressiv zur Schau gestellt wird. In Liberty City regieren Männer wie
Juan, die die Süchtigen mit Drogen versorgt, auch Chirons Mutter. Juan
ist gefährlich, skrupellos. Und er ist sanft, fürsorglich, wenn es um
Chiron geht, den er in seine Obhut genommen hat.
Was heißt es also, ein Mann zu sein? In drei Kapiteln spürt der Film
dieser Frage nach und zeichnet auf, wie aus dem sensiblen Kind jemand
wird, der sich einen Panzer aus Muskeln gebaut und den Mund mit
Goldzähnen versiegelt hat.
Man müsse sich an einem bestimmten Punkt entscheiden, wer man sein
wolle, hat ihm Juan einst gesagt. Chiron trifft diese Entscheidung, als
er verraten wird. In diesem Moment verhärtet sich etwas in ihm, und es
schmerzt, dabei zuzusehen.
Man kann „Moonlight“ als individuelle Lebensgeschichte sehen oder als
Sozialdrama, das zeigt, wie Rasse und Klasse Lebensbedingungen vorgeben,
Identitäten formen und Benachteiligung manifestieren. Das schwingt die
ganze Zeit über mit. Der Film rückt eine afroamerikanische, zudem queere
Lebenswirklichkeit ins Licht und damit ein Thema, das im Kino immer
noch selten zu sehen ist.
Doch so eigen Chirons Werdegang auch ist, so universell ist er auch
lesbar, weil diese Figur allgemein für Menschen steht, die limitiert
oder an den Rand gedrückt werden. „Who is you?“ – „Wer bist du?“, wird
Chiron alias Black von seinem Freund Kevin gefragt, nachdem sie sich
jahrelang nicht gesehen haben. Es sind Chirons Augen, die all das
Unausgesprochene und Unaussprechliche spiegeln und die mehr ausdrücken
als jedes Wort.
Barry Jenkins erzählt von einer harschen Welt. Er tut es voller Empathie
für jede einzelne Figur und mit Sinn für die Schönheit des Lebens.
„Moonlight“ öffnet gerade dafür die Augen. Es lohnt sich, genau
hinzuschauen, Blicke und Gesten wahrzunehmen, etwa wie Chiron seiner
untröstlichen Mutter eine Träne von der Wange streichelt. Die Kamera
erzeugt mit jedem Bild eine Intimität, der man sich nicht entziehen
kann.
Und man sollte hinhören, nicht nur, um mitzukommen, wie Sprache
ausgrenzt, sondern um das Verstummen zu hören, die Zikaden vor dem
Fenster, die Musik aus dem Autoradio, darunter eine Ballade von Caetano
Veloso, eine Hommage an Wong Kar-wais „Happy Together“ (fd 32 738). Der
Film atmet, pulsiert, getragen von seinen herausragenden Darstellern.
Jede Sekunde ist spürbar, wie sehr Chiron als der angenommen und geliebt
werden möchte, der ist. Das ist eine Sehnsucht, die wohl in uns allen
steckt.
Kirsten Taylor, filmdienst