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Blue my Mind: Kritik

Filmbeschreibungen


        
«Coming of Age» hat Hochkonjunktur. Dieses Label, das für  alles steht, womit die von Hormonen überwältigten Heranwachsenden zu  kämpfen haben, hat sich in den letzten Jahren eine sichere und  markttaugliche Position im Genrekatalog erstritten. Kassenschlager wie  die Harry Potter- oder die Hunger Games-Filme stehen dafür, und selbst ein gestandener Superheld wie Spider-Man musste dieses Jahr nochmals als Teenager beginnen (Spider-Man: Homecoming).  In erster Linie reflektiert die Erfolgswelle die Absicht der  Filmindustrie, das immer jüngere Publikum thematisch-empathisch  abzuholen. Doch sie entspricht wohl auch dem allgemein grassierenden  Jugendwahn oder dem beschleunigten Gesellschaftswandel.
 
Längst fischt nicht nur das US-Kino im Coming-of-Age-Becken.  Mehrere europäische Produktionen haben sich jüngst dem Genre  verschrieben, darunter auch der mehr als gelungene Schweizer Beitrag Blue My Mind.  Die Anlage des Films strotzt zwar nicht vor Überraschungen: Die  15-jährige Mia ist mit ihrer Familie umgezogen und besucht eine neue  Schule. Natürlich hat sie Anschlussprobleme und wird erst mal gemobbt,  vor allem von der selbstbewussten Gianna und ihrer Clique. Natürlich  bekommt Mia ausgerechnet jetzt zum ersten Mal ihre Tage. Natürlich – wie  in fast allen um Authentizität bemühten Teenager­filmen der letzten  Zeit – scheint Sexualität eher Pflicht als Freude, orientiert sich vor  allem an Pornografie im Internet und kommt so romantisch daher wie  Rotwein im Pappkarton. Und natürlich diktieren Smartphone und Social  Media den Alltag der Jugend. Aber der Film und Mias Schicksal nehmen  eine unerwartete Wendung. Parallel zur sexuellen Reife bemächtigt sich  Unerklär­liches des Körpers der Protagonistin: Ihre Zehen wachsen  zusammen und ihre Beine werden immer fleckiger und schuppiger. Ausserdem  verspeist Mia mit Gier die Zierfische ihrer Eltern. Bald wird klar: Sie  entwickelt sich zur Meerjungfrau. Wie diese Transformation zu deuten  ist, lässt der Film weitgehend offen. Sicherlich ist sie eine Art  Gegenbewegung, ein physischer und psychischer Fluchtversuch aus den  gesellschaftlichen Zwängen, denen sich die pubertierende Mia ausgesetzt  fühlt. Es ist Blue My Mind auch hoch anzurechnen, dass die  märchenhafte Metamorphose so gar nicht märchenhaft verklärt wird, ohne  Kitsch, moralischen oder esoterischen Klimbim auskommt. Es handelt sich  viel eher um ein psychologisch fundiertes, raues und auch quälendes  Rückzugsgefecht einer jungen Frau.

Unterstützend wirkt dabei die adaptive Kameraarbeit von  Gabriel Lobos, die gezielt mit verschiedenen Farb- und Lichtstimmungen  operiert. Zumeist sind es harte oder dann nüchterne Bilder, sehr oft  dominieren Blautöne, passend zum Meeresthema. Der grösste Trumpf ist  aber eindeutig die Besetzung: Mia wird von Luna Wedler und Gianna, die  nach anfänglicher Stutenbissigkeit Mias beste Freundin wird, von Zoë  Pastelle Holthuizen gespielt. Die jungen Schweizer Schauspielerinnen  waren übrigens schon in Niklaus Hilbers Amateur Teens (2015),  ebenfalls ein Coming-of-Age-Drama, zusammen zu sehen. Besonders Wedler  hat eine Mammutaufgabe zu lösen, denn ab der ersten Minute klebt die  Kamera fast unablässig an ihr, oft mit Grossaufnahmen. Das muss man  aushalten können, als Schauspielerin, wie auch als Zuschauer. Doch wie  Wedler damit umgeht, ist bemerkenswert. Mias, für die Geschichte so  wichtige, Körperlichkeit ist jederzeit zu spüren, vor allem ihre  nuancierte Mimik trägt enorm zu Spannung und Glaubhaftigkeit bei. Luna  Wedler spielt hier in imponierender Weise ein ganzes Repertoire an  leidenden, unsicheren und vor allem fragenden Blicken aus, die uns  wiederum auf und in ihre Figur schauen lassen. Mit der Prophezeiung,  dass aus ihr mal eine tolle Schauspielerin wird, ist man seit diesem  Film schon zu spät. Auch Zoë Holthuizen spielt die oberflächlich  resolute und unbekümmerte, doch in Wirklichkeit auch verunsicherte  Gianna sehr überzeugend (und beweist damit, dass sie weit mehr ist als  ein Schweizer It-Girl).
Die guten Schauspielleistungen, bei denen eigentlich nur die Erwachsenen  leicht abfallen – das mag aber auch an ihren etwas hölzern Dialoglinien  liegen, die die vergeblichen Versuche elterlicher Autorität  nachzeichnen sollen –, sind bestimmt auch auf die gekonnte Führung durch  Regisseurin Brühlmann zurückzuführen. Und wie im Abspann zu sehen ist,  war auch ein Schauspielcoach auf dem Set anwesend: eine Position, die  beim Schweizer Spielfilm noch viel zu selten besetzt wird
Till Brockmann, filmbulletin
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