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Die geliebten Schwestern

Filmbeschreibungen

Der neue Bekannte ihrer Kinder hat kein Geld und keine Manieren, kommt  aus der falschen Familie und hat zu alledem auch noch mächtige Feinde.  So einen Mann würde sich wohl auch in der heutigen Zeit eine besorgte  Mutter nicht als Freund für ihre Töchter wünschen, ganz zu schweigen vom  Ende des 18. Jahrhunderts, als gesellschaftlicher Status noch allein  durch Stand, Vermögen und Reputation definiert wird. Der Ort, an dem  Dominik Grafs Film »Die geliebten Schwestern« beginnt, ist Rudolstadt in  Thüringen, das Jahr ist 1787 und der Bewerber mit den schlechten  Empfehlungen niemand anderes als Friedrich Schiller. Der ist noch neu im  Land, hat aber bald beide Töchter der verwitweten Louise von Lengefeld  kennengelernt: Caroline, die bereits mit dem wohlhabenden Friedrich von  Beulwitz verheiratet wurde, um ihre verarmte Familie zu retten, und ihre  jüngere Schwester Charlotte. Die Bedenken der Mutter sind groß,  andererseits empfiehlt sich der berühmte Dichter als Freund für ihre  geistreichen Töchter doch so sehr, dass sie den Treffen der drei  schließlich ihren Segen gibt. So tritt Schiller dauerhaft in das Leben der Lengefeld-Schwes­tern, und  es entspinnt sich eine Beziehung, die nicht nur für die damalige Zeit  außergewöhnlich ist: Denn der Dichter liebt beide Schwestern  gleichermaßen, und diese erwidern auch beide diese Liebe – lange Zeit,  ohne dass ihre enge Geschwisterbindung darunter leidet. Dieses  historisch verbürgte Dreiecksverhältnis hat sich Dominik Graf zum Thema  seines ersten Kinofilms seit acht Jahren gewählt, und alle Bedenken, ob  es bei dem vor allem für seine ambitionierten Polizeithriller bekannten  Regisseur in guten Händen sein würde, verflüchtigen sich innerhalb  kürzester Zeit. Graf konzentriert sich klugerweise auf einen einzigen Aspekt in  Schillers Leben, nämlich seine Beziehung zu Frauen. Die Rolle als  idealistischer Aufklärer wird dagegen nur am Rande be­leuchtet, und auch  seine literarischen Werke kommen nur en passant vor. Dank wunderbarer  Darsteller geht das auch durchweg auf: Eindrücklich ist vor allem Hannah  Herzsprung als wagemutige, literarisch ambitionierte Caroline, die bei  der Beziehung zu Schiller mit Verstand und Vernunft agiert, bis hin zum  Verzicht zugunsten ihrer Schwester. Henriette ­Confurius macht neben ihr  deutlich, wie die gefühlsbetontere Charlotte, die Schiller 1790  heiratet, die Waagschale hält zwischen ihren eigenen Wünschen und dem  Bemühen, der unglücklich verheirateten Caroline zum Liebesglück zu  verhelfen. Florian Stetter erscheint zwischen den beiden als ein auf  sympathische Weise zurückhaltender Schiller mit einem leicht für seine  Ideale entflammbaren Geist. Ohne weiteres vermittelt sich, dass seine  Leidenschaft für beide Frauen im gleichen Maße glüht. Graf nutzt sein Gespür für durchweg spannende Inszenierungsweisen, um  dem Stoff beherzt allen Ausstattungsballast auszutreiben. Die drohende  Steifheit von Kostümfilmen kommt hier zu keiner Zeit auf, weil »Die  geliebten Schwestern« mit präzise aufeinander abgestimmten Sequenzen  aufwartet, in denen sich der ganze Kosmos der damaligen Weimarer  Gesellschaft entfalten kann: Charlotte von Stein, Schillers Freunde  Körner und Wolzogen und seine einflussreiche und fordernde Geliebte  Charlotte von Kalb werden durch lebendige, pointierte Wortwechsel von  trockenen Figuren der Schulbuch-Historie zu Menschen aus Fleisch und  Blut erweckt. Herausragend ist dabei die knappe Skizzierung von  Schillers Werben um den verehrten Goethe: Dessen Gesicht wird niemals  gezeigt, sodass die Furcht des Jüngeren, nicht an das Über-Vorbild  heranreichen zu können, unmittelbar begreiflich wird. Überhaupt ist »Die geliebten Schwestern« ein seltenes Beispiel für eine  ungemein gelungene Verknüpfung der Bild­ebene mit einem Reichtum an  inhaltlicher Vermittlung. Solange die Liebenden sich noch gut zu dritt  arrangieren können, dominieren helle Farben, während der dunkler  ausgeleuchtete zweite Teil des Films mit der Ernüchterung auf der  Handlungsebene zusammentrifft: Die Ideale der Aufklärung versinken in  den Blutmeeren der Französischen Revolution, und die Schwestern werden  nun doch immer mehr zu Konkurrentinnen.  Um all dies erzählerisch zu fassen, war eine epische Umsetzung  unumgänglich und die Uraufführung auf der diesjährigen »Berlinale« mit  170 Minuten keineswegs zu lang. Auch in der 30 Minuten kürzeren  Kinofassung bleibt zwar der Erzählrhythmus erhalten, da Graf auch bei  den Straffungen und weggelassenen Szenen viel Feingefühl für das rechte  Maß bewiesen hat. Bedauerlich ist es dennoch, weil die längere Fassung  dem Zuschauer erlaubt hätte, noch länger an diesem außergewöhnlichen  Film teilhaben zu dürfen.
Marius Nobach, filmdienst
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